Muckefuck. Berlin. Links. Ungefiltert.

Freitag, 05. Dezember 2025

Lagebild Korruption:
Wenig Licht viel Schatten beim Kampf gegen Bestechungen

Der Staat mit den unzähligen Augen:
Abgeordnetenhaus verschärft Sicherheits- und Ordnungsgesetz
Guten Morgen,

Deutschland ist im vergangenen Jahr anfälliger für Korruption geworden. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International (TI) kommt die Bundesrepublik auf Platz 15 von 180 Ländern mit 75 von 100 möglichen Punkten (2023: 78 Punkte). Je weniger Punkte ein Land hat, desto korrupter wird es eingestuft. Laut Index ist Deutschland so korrupt wie Kanada und korrupter als beispielsweise Dänemark (90), Singapur (84), Estland und Uruguay (jeweils 76). Länder wie Frankreich und Österreich (beide 67) die USA (65), Polen (53), Ukraine (35), Türkei (34) und Russland (22) liegen noch vor Deutschland.

Die Hauptgründe für das Abrutschen Deutschlands sieht TI in der Einflussnahme von Unternehmen, die ihre Geschäfte mit fossilen Energien machen und der Automobilindustrie im Zusammenhang mit dem Aus für Verbrennermotoren. Beide Bereiche spielen in der vom »Muckefuck« sorgsam beobachteten Hauptstadtregion kaum eine Rolle. Dennoch ist die Zahl der Fälle, die die Berliner Polizei mit Korruption in Verbindung bringt, 2024 zum zweiten Mal in Folge gestiegen – auf 103 Fälle. Das geht aus dem Lagebild Korruption Berlin 2024 hervor, das die Polizei am Donnerstag veröffentlicht hat.

Die Korruptionsstatistik ist dabei »volatil«, wie die Polizei gesteht, also hinsichtlich möglicher Entwicklungen kaum aussagekräftig. Das hänge vor allem mit dem insgesamt geringen Fallaufkommen zusammen. So könne beispielsweise ein Sachzusammenhang mit mehreren Beteiligten die Statistik eines Jahres in die Höhe treiben. Angenommen an einem Korruptionskonstrukt sind drei Polizei-Beamte, zwei Staatsanwälte und weitere Menschen beteiligt. Wenn dies auffliegt, geht die Sache in Form mehrerer Fälle in die Statistik ein. Die Polizei prognostiziert daher eine Vervielfachung der Fälle in diesem Jahr. Und so erklärten sich auch die 191 Fälle im Jahr 2020.

Wie im Vorjahreszeitraum lag der Schwerpunkt der Korruptionsstraftaten 2024 im Bereich der Bestechung (46 Fälle) und seinem Pendant der Bestechlichkeit (40 Fälle). Die Mehrheit der Fälle spielte sich im Rahmen von Justizvollzugsanstalten ab. Aus einem solchen Fall ging auch die einzige Verurteilung im letzten Jahr hervor. Eine JVA-Bedienstete hatte einen Insassen mit vier Mobiltelefonen und Fleisch versorgt. Die Dinge hatte ihr zuvor der Cousin des Insassen verschafft. Als Gegenleistung erhielt die Bedienstete Parfüm. Die Frau wurde zu sechs Monaten auf Bewährung wegen Bestechlichkeit verurteilt, der Insasse zu zehn Monaten auf Bewährung wegen Bestechung.

In 13 der Fälle konnte ein konkreter Schaden ermittelt werden, der sich insgesamt auf 259.621 Euro beläuft. Wobei die Polizei betont, dass sich ein materieller Schaden durch entstandene Wettbewerbsvorteile schwer bis gar nicht beziffern lasse. Gleichzeitig sei der immaterielle Schaden in Form von Wettbewerbsverzerrung und Vertrauensverlust in »die Funktionsfähigkeit und Integrität staatlicher Institutionen und bestehender Wirtschaftsabläufe« nicht zu vernachlässigen.

Die Polizei geht im Bereich Korruption weiterhin von einem großen Dunkelfeld aus. Das läge zum einen daran, dass es nur Tatbegehende (Gebende und Nehmende) gäbe. Geschädigte – etwa Wettbewerber und Behörden würden die Taten nur selten bemerken. Geschädigte, die sie bemerken, würden zudem statt die Delikte anzuzeigen häufig dazu tendieren, die mutmaßlichen Täter*innen zu kündigen oder die Zusammenarbeit mit ihnen zu beenden, um negative Schlagzeilen zu vermeiden. »Die in Teilen stark belastete Berliner Verwaltung ermöglicht weiterhin Tatgelegenheitsstrukturen, die zu Strafverfahren wegen illegalen Handels mit Terminen bei Bürgerämtern, KfZ-Zulassungsstellen oder beim Landesamt für Einwanderung führen«, heißt es im Lagebild Korruption weiter.

Bild des Tages

Ein Schaufellader in der Streusalzhalle der Berliner Stadtreinigung (BSR) | Foto: dpa/Christophe Gateau

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nd bleibt hoffnungsvoll
Gegenüber dem »Muckefuck« ordnete Jiri Kandeler, Vorstandsmitglied im Antikorruptionsverein, den Bericht kritisch ein: »Wie auch im Vorjahr offenbart das Lagebild 2024 die erheblichen strukturellen Mängel in der Korruptionsbekämpfung in Berlin.« Sowohl die Zahl der erfassten Fälle als auch der bezifferte Schaden falle viel zu gering aus. Kandeler zufolge ginge der tatsächliche Schaden »eher in die Millionen«. Insofern stimmt er mit dem Bericht selbst überein, wonach er die Korruption nur »sehr eingeschränkt darstellen« kann.

Dass die Zahl der Fälle bei der Polizei und im Strafvollzug relativ hoch ist und im Bereich der Verwaltung, im Senat und in den Bezirken kaum wahrnehmbar, führt Kandeler auf den unterschiedlich hohen Kontrolldruck zurück. In den Verwaltungen fehlten Kontrollmechanismen. Wenn dort Fälle aufgedeckt würden, dann in der Regel von externen Hinweisgebern, so Kandeler.

»Das Thema Korruption scheint bei der Polizei inzwischen einen etwas größeren Stellenwert zu haben als noch vor ein paar Jahren, vielleicht erklären sich ja so die gestiegenen Fallzahlen – wo mehr hingeschaut wird, wird mehr gefunden«, resümierte der Vorstand vom Antikorruptionsverein. Das 2023 für das Jahr 2022 erstmals erhobene Lagebild Korruption geht auf eine Petition des Antikorruptionsvereins an den Petitionsausschuss im Abgeordnetenhaus zurück. Kandeler sagt, an der strukturellen Schwäche der Korruptionsbekämpfung in Berlin habe sich offensichtlich nichts geändert. »Und die aktuell regierende Koalition unternimmt wenig bis nichts, um daran etwas zu ändern

Ganz anders engagiert zeigen sich CDU und SPD beim Ausbau des Überwachungsstaates. So zumindest die kritischen Stimmen, die meine Kollegin und nd-Schwerpunktredakteurin für Innenpolitik Jule Meier zur am Donnerstag im Abgeordnetenhaus verabschiedeten Novellierung des Asog zusammengetragen hat. Die Buchstabenfolge steht nicht für eine dunkle Gestalt aus dem Universum von »Herr der Ringe«, sondern für das Allgemeine Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dessen Neufassung kritisiert etwa der Grünen-Abgeordnete Vasili Franco als Weg »direkt zurück ins Jahr 1984«, und spielte damit auf die Dystopie des Schriftstellers George Orwell an.

Noch nie habe es »so viele gesetzliche Änderungen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt gegeben«, hob hingegen der SPD-Abgeordnete Martin Matz hervor. Jetzt gebe es die Möglichkeit Gewalttätern zur Überwachung die elektronische Fußfessel anzulegen und ihnen bis zu 28 Tage den Zutritt zur gemeinsamen Wohnung zu verbieten. Der Innenexperte der Linken, Niklas Schrader, führte in der Debatte zurück zur Überwachung, dieser sich seinen Worten zufolge nun niemand mehr entziehen könne. Er kündigte an, rechtliche Schritte gegen die Gesetzesreform zu prüfen.

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