Samstag, 17. Juni 2023

Schon ab einem bedrohten Parkplatz:
Mobilitätsverwaltung stoppt und überprüft etliche Radwegprojekte in Berlin

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Guten Morgen,
zieht eure Helme auf, es wird gefährlich – beziehungsweise bleibt es. Mit der nächsten rauen Vollbremsung hat Mobilitätssenatorin Manja Schreiner am Freitag für einiges an Aufregung in der Hauptstadt gesorgt. Nachdem die CDU-Politikerin bereits eine Änderung des Berliner Mobilitätsgesetzes zurückgehalten hat, steht nun die Unterbrechung etlicher Radwegprojekte an. Es ist der perfekte Stoff, um sich das ganze Wochenende durchzuärgern und »Muckefuck« liefert dazu die Zitate. Und zwar von allen.

Betroffen von Schreiners Stopp ist dem »Tagesspiegel« zufolge alles, was den heiß geliebten Blechschüsseln am Straßenrand auch nur ansatzweise zu nahe kommen könnte: Schon ein bedrohter Parkplatz soll ausreichen, damit der Bau eines Radweges noch einmal neu überprüft werden muss. Bis dahin dürfen Mitarbeiter*innen der Senatsverwaltung keine Stellungnahmen abgeben, keine Anhörungen vornehmen und auch keine Anordnungen erteilen. Auch Pläne für Tempo-30-Zonen bleiben erst einmal liegen. So steht es in einer Mail an den Bezirk Lichtenberg, die die Bezirksstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) öffentlich gemacht hatte.

Deren Parteikollegin Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt sich »Muckefuck« gegenüber entsetzt: »Ich bin noch so ein bisschen in der Schockstarre.« Trotz Schwarz-Rot sei sie eigentlich zuversichtlich gewesen, dass man die Entwicklungen im Radverkehr nicht aufhalten könne. »Das steigert ja nicht nur die Verkehrssicherheit, sondern ist auch einfach wirtschaftlich effizienter. In allen europäischen Metropolen geht es in dieselbe Richtung.«

Doch offenbar nicht im neuen, ordentlichen Berlin der CDU. Hassepaß spricht von einer »Katastrophe« aus wissenschaftlicher wie auch rein rationaler Sicht. Sie könne sich vorstellen, dass nun alle Radwegprojekte auf Hauptstraßen erst einmal komplett gestoppt werden, obwohl das dem Mobilitätsgesetz widerspreche. Auf den ehemaligen Koalitionspartner ist sie sauer: »Das Gemeinwohl und das Soziale, wofür die SPD stehen will, werden einfach überhaupt nicht eingelöst.« Die Partei dürfe sich nun bloß nicht aus der Verantwortung stehlen.

Doch in die Entscheidung der CDU-Mobilitätsverwaltung scheinen die Sozialdemokrat*innen nicht einbezogen worden zu sein. »Ich bin über diesen Schritt sehr überrascht, das war nicht abgesprochen«, sagt Tino Schopf zu »Muckefuck«. Ein solcher Stopp, so der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, verstoße gegen den gemeinsamen Koalitionsvertrag, in dem man sich mehr und vor allem sichereren Radwegen verschrieben habe. »Das gilt, das zählt und daran werden wir als Koalition auch gemessen.«

Eine »Rolle rückwärts«, erklärt Schopf, werde es mit ihm nicht geben. Zugleich fällt es dem SPD-Politiker am Freitagmittag schwer zu glauben, dass die Nachricht an den Bezirk Lichtenberg wirklich von der Mobilitätssenatorin stammt. Bei bisherigen Gesprächen habe er Schreiner anders erlebt. »Wenn tatsächlich nur ein gefährdeter Stellplatz ausreichen sollte, dann hätten wir es sicher mit einer dreistelligen Zahl an Projekten zu tun, die nochmal geprüft werden müssen«, führt er ungläubig aus. »Wer soll denn das machen? Wie viele Wochen soll das denn dauern?«

Bild des Tages

Frust mit zwei Rädern: Die Initiative Changing Cities rief am Freitag zu einer Pro-Radwege-Demo am Köllnischen Park auf. Foto: nd/Mischa Pfisterer

Etwas andere Gedanken gehen dem Verkehrsexperten der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus durch den Kopf. »Ich würde das schon als Frontalangriff auf die Mobilitätswende bezeichnen«, sagt Niklas Schenker zu »Muckefuck«. Schreiner spreche immer wieder vom Miteinander im Straßenverkehr, doch ihre Handlungen seien andere. »Wenn jetzt wirklich alle Nahverkehrsprojekte in Berlin auf den Prüfstand gestellt werden sollen, dann ist das ein einseitiger und auch ideologisch getriebener Vorgang.«

Die CDU habe von oben herab, politisch unklug und gegen die Interessen der Bezirke gehandelt. An eine unschuldige Mobilitätssenatorin glaubt Schenker nicht. Sollte das kontroverse Schreiben wirklich nicht von ihr stammen, sei es ja möglich gewesen, die Neuigkeiten schnell zu dementieren. Tatsächlich sollte das auch nicht mehr geschehen: Die Mobilitätsverwaltung bestätigte am Abend ihr Vorhaben.

Schenker folgert: »Die SPD merkt gerade, wen sie sich da als Koalitionspartner mit an Bord geholt hat.« Er will nun, dass der Stopp in jedem Fall zurückgenommen wird. Eine Sondersitzung im Mobilitätsausschuss hält der Linke-Politiker für überfällig. »Wir werden da auch entsprechenden Druck ausüben«, kündigt er an. Mit Verbänden, Vereinen und Initiativen befinde man sich schon im Gespräch.

Alles in allem steht die CDU unter den demokratischen Kräften im Abgeordnetenhaus also ziemlich alleine da. Wie also reagieren die Konservativen? Ein bisschen so, wie der Raufbold auf dem Pausenhof, nachdem er es zu doll getrieben hat: Alles halb so schlimm, versucht Danny Freymark, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, »Muckefuck« zu beruhigen. »Ich sage: bleibt entspannt, es wird trotz dieser Mail mehr sichere Radwege geben, davon bin ich überzeugt.«

Freymark verweist unter anderem auf einen unausgeglichenen Haushalt. An manchen Orten, etwa an der Schönhauser Allee, seien eine Überprüfung oder gar ein Stopp eben durchaus angemessen. »Es wäre doch politischer Selbstmord, wenn die Verkehrssenatorin jetzt alle geplanten Radverkehrsprojekte ad acta legt«, sagt der Christdemokrat. Ob ein paar oder einige Projekte dafür auch schon reichen, werden wir sehen.

Hofft, nach zwei Wochen Urlaub nicht in ein fahrradloses Berlin zurückzukehren:
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