Donnerstag, 22. Juni 2023

Das große Missverständnis
Verkehrssenatorin Manja Schreiner bedauert gegenüber »Muckefuck« Aufregung in Radwege-Debatte

BVG: Am Alex alles tutti
Der Wasserschaden bei der U5 sei unproblematisch und der Tunnel der U2 stabilisiert

Ausbeutung und Zwangsarbeit in Berlin
Besonders betroffen sind Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte
Guten Morgen,
man kennt das ja schon: Da macht ein Teil der »Muckefuck«-Redaktion – sprich: ich – mal zwei Wochen frei, und was passiert? Irgendwelche Mitarbeiter*innen von Senatsverwaltungen tanzen auf den Tischen und machen, was sie wollen. Dieses Mal hatten sie bekanntlich ohne Absprache mit mir irgendwelche bösen Briefe an die Bezirke verschickt.

Genau, die Rede ist von der aktuell nicht enden wollenden Radewege-Debatte, losgetreten vom Haus unserer Lieblings-Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, Manja Schreiner (CDU). Nun müssen wir die Scherben aufkehren. Für die Senatorin gehen wir dabei bis zum Äußersten. Das heißt in dem Fall, dass sich der »Muckefuck« gestern auf einen Pressetermin schmuggelte, bei dem es eigentlich um etwas anderes ging: das fünfjährige Bestehen der Berliner Regenwasseragentur.

Auch spannend. Aber der »Muckefuck« hat andere Sorgen, Radwege-Sorgen. Denn es gibt Ärger, Aufregung, Empörung in Berlin. Es riecht nach 1789 und Paris, mindestens. Grüne und Linke im Abgeordnetenhaus nennen Schreiner schon die »Chaos-Senatorin«. Und das in einer Stadt, die doch nun wieder funktioniert, wie wir alle wissen. Was ist da nur los?

Wie mein Kollege Patrick bereits am Wochenende an dieser Stelle berichtet hat, hatte Schreiners Verwaltung den Bezirken einen Stopp des Radwege-Ausbaus verordnet. Wobei es in Friedrichshain-Kreuzberg gestern noch mal einen Nachschlag gab. Konkret sei das Bezirksamt von der Verkehrsverwaltung aufgefordert worden, die Finanzierungs- und Mittelzusagen für alle Radwege-Projekte »temporär außer Kraft zu setzen, bei denen es noch keine vertragliche Verpflichtung zu baulichen Maßnahmen gibt«, berichtete Verkehrsstadträtin Annika Gerold (Grüne).

Die Verwirrung ist groß – und die Verkehrssenatorin brachte nun Licht ins Dunkel der sicherlich einfach nur sehr einsamen Entscheidungen ihrer Mitarbeiter*innen. »Mein Ziel ist es nicht, möglichst viel zu stoppen. Mein Ziel ist es wirklich, sich die einzelnen Projekte anzugucken, es sollen ja auch keine Fördermittel am Ende verloren gehen«, zeigte sich Manja Schreiner am Rand der Regenwasserveranstaltung gegenüber »Muckefuck« durchaus auskunftsfreudig.

Alles ist also nur ein großes Missverständnis. Denn: »Wir sind gerade im Arbeitsstadium«, erklärt die CDU-Politikerin. »Wir versuchen gerade abzuschichten, was entspricht den Prioritäten des Koalitionsvertrags, wo können wir aufsetzen und welche Planung können wir nach vorn ziehen, priorisieren, weil sie eben auch den Planungen und Zielvorstellungen des Koalitionsvertrags entspricht.«

Bild des Tages

Endlich wieder auf dem verkümmerten Radweg durch Reinickendorf.

Foto: dpa/ Annette Riedl

Abschichten, Nachvornziehen, Priorisieren – so geht Regieren mit ruhiger Hand. Miteinander statt gegeneinander.

Dann holt Schreiner nochmal kurz aus. »Ich möchte gerade gucken, sind das alles Projekte, die jetzt gerade in der Umsetzung oder vor der Umsetzung sind, wo wirklich ein großer Bedarf entsteht, wo die Unfallkommission gesagt hat, das ist ein Unfallschwerpunkt, und wir natürlich auch auf der anderen Seite, dass was wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart haben, schauen: Fällt eine Fahrspur weg? Fallen Parkplätze weg? Ist es gut austariert?«

Lasst euch nicht irritieren von den Bandwurmsätzen: Fahrspuren und Parkplätze sind sehr, sehr wichtig im Zuge der Berliner Autoverkehrswende. Das versteht jede*r. Warum nicht zuletzt in den Grünen-geführten Bezirken skeptisch darauf reagiert wird, hat mein Kollege Rainer Rutz aufgeschrieben.

Die Senatorin versucht sich in Schadensbegrenzung: »Es ist misslich, dass jetzt eine Aufregung entstanden ist«, sagte Schreiner. »Man kann das dann nur begrenzt einfangen.« Schreiner versprach dafür eine »Priorität innerhalb der Betrachtung«: »Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir innerhalb der nächsten 14 Tage mehr wissen.«

Die CDU-Verkehrsstadträtin von Reinickendorf, Julia Schrod-Thiel, will scheinbar nicht so lange warten und schon mal angefangen »abzuschichten« und hat deshalb »die Fertigstellung und Inbetriebnahme« der fast fertigen Radverkehrsanlage auf der Ollenhauerstraße »ausgesetzt«. Verkehrssenatorin Schreiner sagte gestern, sie wisse von nichts: »Ich kenne das Projekt nicht genau. Ich kann da nicht sagen, was Reinickendorf plant.«

Das wird schon mit der »Priorität innerhalb der Betrachtung«, es sind ja noch 14 Tage.

Mit dem Fahrrad ist die Senatorin übrigens am Wochenende unterwegs. Also manchmal. Und auch nur in Brandenburg, rund um Rheinsberg, wie sie kürzlich der »Berliner Zeitung« verraten hat. Die Brandenburger Kolleg*innen der Deutschen Presse-Agentur erfreuten uns gestern übrigens noch mit folgender Meldung, die wir hier in voller Schönheit zitieren möchten:

»Unbekannte haben aus einem Garten in Rhinow (Landkreis Havelland) rund 50 Gartenzwerge gestohlen. Der Diebstahl sei am Dienstag gemeldet worden, berichtete die Polizei am Mittwoch. Die Täter kletterten laut Polizei über den Gartenzaun und griffen dann bei der Deko zu. Die Beamten schätzen den Schaden auf circa 1000 Euro. Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen aufgenommen.«

Und wer nun denkt, wir wollen hier irgendwas insinuieren: Rhinow liegt 80 Kilometer von Rheinsberg entfernt.

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von Yannic Walther

Aufgemuckt

»Wir sind doch nicht auf dem Schulhof, wo wir sagen: Keiner darf sich bewegen, wir zählen jetzt mal durch.«

Steffen Zillich, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zum Planungsstopp für zahlreiche Radwegeprojekte

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Und später:

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Norma Schneider beschreibt die vielfältigen Formen und Inhalte russischer Gegenkultur in Putins Russland – vor und nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Obwohl das Regime seinen Kritiker:innen mittlerweile nur noch die Wahl lässt zwischen Exil, Selbstzensur und Gefängnis, stehen in ihrem Buch nicht die Repressionen im Vordergrund, sondern das, was trotz allem möglich ist.

Heute, 18 Uhr, FMP1 - Salon, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin

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