Muckefuck. Berlin. Links. Ungefiltert.

Mittwoch, 7. Mai 2025

Bier und Blitzer:
Schadenfreude gegen Raser

Streikende Brauer:
Tarifangebot so dünn wie Radler

Unwirksame Kündigung:
Eine Mail und ihre Folgen für Inés Heider
Guten Morgen,

viele Menschen in meinem Alter werden sich noch gut an Geschichten der Elterngeneration erinnern, die oft voller feuchtfröhlicher Details von berauschten Abenden erzählte, an dessen Ende eigentlich immer die Frage stand: Wer macht eigentlich den Fahrer? In aller Regel lautete die Antwort damals: natürlich der- oder diejenige welche, deren Gang noch am ehesten als geradeaus bezeichnet werden konnte. Nun ist Fahren und Trinken etwas, das in den vergangenen Jahren zu Recht in Verruf geraten ist. Lenkrad und Alkohol, das geht nicht gut zusammen.

Der Kanal Bier und Blitzer hat doch noch einen Weg gefunden, der Menschen zu Hunderttausenden zusagt – ganz ohne Fremd- und Selbstgefährdung versteht sich. Zumindest sagen das die Zahlen der Follower des Kanals auf Social Media. Die Betreiber*innen fahren dabei natürlich ganz zeitgemäß nicht selbst, sondern überlassen die unerlaubten Eingriffe in den Straßenverkehr anderen. Sie selber beobachten mit Bier in der Hand vom Straßenrand, während diese geblitzt werden. Jedes Foto einen Schluck. Eigentlich ein Trinkspiel, das spontan während eines Spaziergangs entstand.

Mittlerweile aber treffen sich die Jungs, die anonym bleiben möchten, regelmäßig und streamen mit drei Handys gleichzeitig mit Blick auf den mobilen Blitzer, damit auch die Menschen zu Hause live mitfeiern können. Und das tun sie: Die Aufrufzahlen der Mitschnitte gehen in die Millionen, Tausende schauen die Streams an.

Worum es den Jungs eigentlich geht? Schadenfreude natürlich. Nun ist die Freude über den Ärger von anderen im Normalfall nicht gerade eine Eigenschaft, die Menschen stolz vor sich hertragen. Vielleicht ist es aber auch wirklich nicht so schlimm. Zumindest, wenn sich dieses Gefühl, für das es angeblich nur im Deutschen ein Wort gibt, gegen etwas richtet, was mitunter einfach verdammt gefährlich ist: Rasen.

Bild des Tages

Bier nach Fußball geht ohne Probleme – Spielerinnen des 1. FC Union feierten am 27. April den Aufstieg in die erste Bundesliga | Foto: dpa/Soeren Stache

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nd die.Woche
Damit es feuchtfröhlich weitergehen kann – finanziell für Beschäftigte und durstlöschend für die Kundschaft – wird die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei bestreikt. Wo sonst Berliner Pilsener, Berliner Kindl oder Schultheiss gebraut, abgefüllt und ausgeliefert werden, stand der Betrieb vergangene Woche nahezu still, als 80 Mitarbeitende streikten. Ein erstes Tarifangebot der Arbeitgeber, so hört man, sei so dünn gewesen wie Radler. Klar also, dass da »die Galle piekt«, wie Gewerkschaftssekretär Uwe Ledwig von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) die Stimmung unter den rund 370 Mitarbeitenden beschreibt, die zum Haustarif arbeiten.

7 Prozent mehr Lohn fordern die Streikenden. Das erste und letzte Angebot der Brauerei, die zu Radeberger und damit zu Oetker gehört, stand bei 4,4 Prozent über eine Laufzeit von zwei Jahren. »Die Oetkers sind reich und die Beschäftigten wollen etwas von dem Reichtum abhaben«, sagt Ledwig. Dem kann man eigentlich nur zustimmen, immerhin gehört die Brauerei in Hohenschönhausen zu den Bestperformern der Radeberger-Gruppe, deren Umsatz zuletzt um 8,3 Prozent gestiegen war. Dass in Deutschland immer weniger Bier getrunken wird (Absatzrückgang in Deutschland um 2,1 Prozent), fällt als Begründung für ein schlechteres Arbeitgeber-Angebot also auch raus. Unser Streik-Experte Christian Lelek hat mehr Details für euch.

Um Beschäftigungsverhältnisse ging es auch vor dem Berliner Landesarbeitsgericht. Dort wurde am Dienstag Inés Heider im Berufungsverfahren in zweiter Instanz recht gegeben. Ihr Arbeitgeber hatte sie zu Unrecht gekündigt. Die gemeinnützige Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft (TJFBG) hatte sie fristlos entlassen, nachdem Heider eine Mail über den Verteiler schickte, in der sie die Sparmaßnahmen in Neuköllns Sozialsektor von immerhin 22,8 Millionen Euro als »menschenverachtend« bezeichnete.

Sie rief Kolleg*innen dazu auf, Videos mit ihrer Kritik zu schicken. Für TJFBG ein Aufruf zu einem »wilden Streik«, eine Begründung, mit der das Gericht aber nicht mitging. Heiders Anwalt hält das Vorgehen für »ungewöhnlich«. Die Teilnehmer*innen der solidarischen Prozessbegleitung Heiders sehen jedoch einen Zusammenhang mit Repression, die in letzter Zeit Menschen trifft, die zu Mitteln des zivilen Ungehorsams greifen. Heiders Name wurde dort in einer Reihe mit Lehramtsstudentin Lisa Poettinger und dem französischen Gewerkschafter Anasse Kazib genannt. Die eine durfte ihre Lehrerausbildung aufgrund ihres Klimaaktivismus nicht antreten, der andere sah wegen propalästinensischer Beiträge auf Social Media einem Strafverfahren entgegen. Mehr über den Fall lest ihr hier.

Immer schön hydriert bleiben,

Julian Daum
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Was heute noch wichtig ist:

Die vergessene Befreiung

Zur Eröffnung der Sonderausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit spricht der Überlebende Bogdan Bartnikowski über seine Erfahrung als Trümmer-Arbeiter in Berlin vor dem Kriegsende.

Darius Ossami

Jüdischer Mannschaftsarzt unerwünscht

12 Fans des SV Babelsberg 03 haben zur Vergangenheit des Vereins recherchiert, konkret: zur Vereinsgeschichte während der Nazizeit. Hat der Verein heute eine linke Fanszene, wurde er ab 1936 von SA-Leuten geführt.

Andreas Fritsche

Neukölln gegen möbliertes Wohnen

Das Bezirksamt Neukölln hat erklärt, dass in Milieuschutzgebieten fortan kein möbliertes Wohnen auf Zeit mehr möglich sein soll. Dort sind die Mieten bisweilen doppelt so hoch wie normale Mieten.

David Rojas Kienzle

Aufgemuckt

»Die Berliner Zeit war für mich sehr schwierig. Die einzige Änderung im Vergleich zu Auschwitz war, dass ich mit meiner Mutter sein konnte.«

Bogdan Bartnikowski
ehemaliger Zwangsarbeiter in Berlin

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Und später:

Heute, 7. Mai um 16 Uhr
Breiter Weg 6, 12487 Berlin

Stolperstein für Elsa Meenen

Am Vortag des Jahrestages der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und Nazideutschlands wird für Elsa Meenen ein Stolperstein vor dem Haus Breiter Weg 6, 12487 Berlin-Johannisthal verlegt. Sie wurde 1941 deportiert und in Warschau ermordet. Eingeladen haben auch Schüler*innen des Gebrüder-Montgolfier-Gymnasiums, die anschließend zum Gespräch und Austausch bei Kaffee und Kuchen einladen. Die Veranstaltung beginnt um 16:00 Uhr.

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