Muckefuck. Berlin. Links. Ungefiltert.

Mittwoch, 27. September 2023

Turbozaun für den Görli:
Wegner kündigt Fertigstellung bis Anfang nächsten Jahres an

Enteignung, die Zweite:
Sprecher von Deutsche Wohnen und Co. enteignen im Interview

Aufbaukurs Grundrechte:
Wie eine Initiative gegen diskriminierende Schulregeln vorgeht
Patrick Volknant
Guten Morgen,

dem »Muckefuck« steht der Schweiß auf der Stirn und das, obwohl der Marathon ja eigentlich schon längst vorbei ist. Berlins Große Koalition zieht das Tempo an und wir kommen mit Katastrophenberichterstattung kaum noch hinterher. Nun will der Senat sogar per konzeptloser Turboeinzäunung den Görlitzer Park von Drogensüchtigen und Kriminellen befreien. Doch keine Sorge: Zur Entspannung gibt’s ein schönes Interview im zweiten Teil des Newsletters.

»Ich freue mich, weil ich Baustellen liebe«, schwärmte Kai Wegner (CDU) jüngst vor einem Lichtenberger Neubau der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Wie groß die Leidenschaft des Regierenden Bürgermeisters für Schutt und Scherbenhaufen tatsächlich ist, konnte da noch niemand ahnen. Bis »spätestens Anfang nächsten Jahres« will der Baustellen-Freak aus dem Roten Rathaus den Görlitzer Park in Friedrichshain-Kreuzberg umzäunt haben, wie er am Dienstag gegenüber der DPA ankündigte.

Nach vermeintlichem Vorbild des New Yorker Central Parks plant Wegner, den Görli nachts abzusperren bis sich das ganze Problem irgendwie von selbst erledigt. Wie lange man den Zaun brauche, hänge davon ab, »wie sich die Lage im Görlitzer Park entwickelt«. Dass es sich also um eine temporäre Lösung handeln soll, wird Kai den Baumeister im Zweifelsfall aber nicht davon abhalten, sich an coolen Abrissbaggern zu erfreuen: »Es muss eine Ausschreibung geben, es muss geprüft werden, ob die Mauer am Görlitzer Park für den Zaun abgerissen werden muss

Mal so gar keine Begeisterung ist hingegen bei Vasili Franco, dem drogenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu spüren. Er erkennt gegenüber dem »Muckefuck« zwar an, dass es ein Drogenproblem am Görlitzer Park gibt, doch: »Wenn an der einen Stelle die repressiven Maßnahmen hochgefahren werden, tauchen die Probleme lediglich an anderer Stelle wieder auf.« Das gelte letztlich auch für die Einsatzstunden der Polizei, die durch eine Absperrung im Park selbst natürlich reduziert würden, dafür aber an anderer Stelle anfielen.

Franco wartet nach wie vor auf ein durch den Senat vorgelegtes Konzept für den Görlitzer Park. »Was fehlt, sind die Finanzierungszusagen zu sozialen Maßnahmen, die noch groß auf dem Sicherheitsgipfel angekündigt wurden«, sagt der Abgeordnete. Stattdessen würden Menschen in ihrer Perspektivlosigkeit alleine gelassen. Der Senat befindet sich aus Sicht Francos im Begriff, sich für hektische Symbolpolitik in Unkosten zu stürzen. »Jeder soziale Träger kämpft um jeden Euro, während der Senat bereit ist, Millionensummen für einen Zaun rauszuhauen.« Der »Muckefuck« hält schon einmal das Popcorn bereit: Wird der Görlitzer Park zur Friedrichstraße der Großen Koalition?

Bild des Tages

Hat die Absicht, einen Zaun zu bauen – und dafür Mauern einzureißen: Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) | Foto: dpa/Annette Riedl

Anzeige

Jetzt das Aktionspaket bestellen!
Spürbar weniger Geld für Projekte jedweder Art wird hingegen Berliner Mieter*innen in den kommenden Jahren bleiben, auch für die mit Wohnberechtigungsschein. Wie der Senat zu Beginn der Woche bekanntgegeben hat, dürfen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ihre Mieten von 2024 bis einschließlich 2027 um jährlich 2,9 Prozent erhöhen. Und das ist nur die bittere Kirsche auf dem Kuchen der Enttäuschung: Seit dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen sind die Angebotsmieten um 30 Prozent gestiegen.

Das hatte sich die Initiative Deutsche Wohnen und Co enteignen (DWE) eigentlich ganz anders vorgestellt. Obwohl sich die Wähler*innen 2021 mehrheitlich für die Vergesellschaftung ausgesprochen haben, macht der Senat bisher so gut wie keine Anstalten, die Forderung der Berliner*innen durchzusetzen. Das Rumgedruckse der Politik, sowohl unter Rot-Grün-Rot als auch jetzt unter Schwarz-Rot, haben sich die Aktivist*innen nun lange genug angesehen: Wie die Initiative am Dienstag bekannt gegeben hat, will sie ein zweites Volksbegehren in der Hauptstadt starten.

Dieses Mal aber, erklärt DWE-Sprecher Yannik Böckenförde im großen Interview mit meinem Kollegen Marten Brehmer, soll der Senat wirklich an Recht gebunden werden. »Wir werden in den nächsten Monaten in Zusammenarbeit mit der Kanzlei, die wir beauftragt haben, ein Gesetz erarbeiten«, kündigt der Aktivist an. Auch ein wissenschaftlicher Beirat soll bei der Gesetzeserarbeitung helfen. Die Initiative, verspricht Böckenförde, hat auf jeden Fall noch Luft: »Vergesellschaftung ist kein Sprint, sondern ein Marathon.«

Womit wir letztlich wieder bei Kai Wegner wären, der sich gestern betont lässig gab. »Wenn es jetzt einen Gesetzentwurf gibt, dann freue ich mich ja geradezu«, sagte der Regierende Bürgermeister in Anschluss an die allwöchentliche Senatssitzung. »Denn ich bin mir ganz sicher, dass Gerichte dazu dann auch Stellung nehmen werden.« Sollte DWE auch im zweiten Anlauf Erfolg haben, könnte es der CDU-Landeschef allerdings dann doch mal mit einer Baustelle zu tun bekommen, die ihm so gar nicht gefallen dürfte.

Baut nach wie vor am liebsten »linke Traumschlösschen«:
Patrick
Auch wir Journalist*innen müssen unsere Bohnen verdienen:
Ich trage zur Kaffeekasse bei!

Was heute noch wichtig ist:

Diskriminierende Schulregeln: Berliner Schulen lernen Grundrechte

Kleidungsvorschriften für Mädchen oder die Pflicht, Deutsch zu sprechen: Schulordnungen verstoßen oft gegen das Landesantidiskriminierungsgesetz. Eine Initiative fordert Schulen zur Änderung auf.

Nora Noll

Der Einsteinturm strahlt wieder

Im Potsdamer Einsteinturm wurde einst die Relativitätstheorie experimentell bestätigt. Auch heute noch dient das eigentlich museumsreife Sonnenobservatorium der Forschung. Die Wüstenrot-Stiftung bezahlte die Instandsetzung.

Andreas Fritsche

Geflüchtete: Berliner Senat setzt auf Sammelunterkünfte

Berlin will in erster Linie durch Massenunterkünfte Platz für weitere Geflüch­tete schaffen. Initiativen deuten auf daraus resultierende psychische Schäden und fordern Unterbringung in Wohnungen.

Christian Lelek

Aufgemuckt

»Mir wurde im Referendariat vermittelt, es sei völlig normal, dass Schulordnungen auch Kleidervorschriften enthalten.«

Eine Berliner Lehrerin kritisiert diskriminierende Schulordnungen

Mieterhöhungen in Berlin: Hilfe, alles wird teurer!

Energie und Lebensmittel sind teurer geworden, und nun steigen auch die Mieten bei den landeseigenen Wohnungsgesellschaften in Berlin. Wer soll das alles bezahlen können?
Andreas Fritsche
Netflix & Oper

Das könnte dich auch interessieren:

Mord an Yeboah: Neonazistisches Fanal oder unpolitische Tat?

Im Prozess um den rassistischen Mord an Samuel Yeboah in Saarlouis forderte die Bundesanwaltschaft fast zehn Jahre Gefängnis für den angeklagten Ex-Neonazi. Die Verteidigung erklärte den 52-Jährigen zum bloßen Mitläufer.

Joachim F. Tornau, Koblenz

Ritzen als Risikofaktor

In einer neuen Forsa-Umfrage unter Eltern von 6- bis 18-Jährigen gaben 40 Prozent an, dass ihr Kind in den letzten ein bis zwei Jahren unter seelischem Stress gelitten habe.

Ulrike Henning

Black Metal; Die dunkle Seite der Macht

Jenny Hvar mit ihrem neuen Buch »Gott hassen« die dunkle Macht, die vom Black Metal ausgeht, eine Macht, die die Kraft hat, Leben zu verändern, wenn in einem das Herz des Außenseiters erwacht und der Wille zum Hass.

Ingo Petz

Anzeige

Werde Mitglied!

Und später:

27. September um 15:00 Uhr, Bundesministerium des Innern und für Heimat, Alt-Moabit 140

Demonstration: »Nein zu Faesers Abschiebeplänen«

In der neu entfachten Debatte über den Umgang mit Geflüchteten lehnt Nancy Faeser (SPD) die populistische Forderung nach einer Obergrenze derzeit (noch) ab. Zugleich aber plant die Innenministerin eine deutliche Verschärfung der Abschiebegesetze und weitere Einschränkungen der Rechte geflüchteter Menschen. Unter anderem soll die Dauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage erhöht, eine Abschiebung auch während Widerspruchs- oder Klageverfahren ermöglicht und Betroffene auch dann in Abschiebehaft gebracht werden, wenn über deren Asylantrag noch gar nicht entschieden wurde. Ihre Vorschläge hat Faeser Anfang August in einem Diskussionsentwurf vorgelegt, gegen den die Kampagne »Bleiberecht für alle – Chancenfalle« heute zu einer Demo vor dem Innenministerium aufruft.

Video des Tages

K.I.Z – Görlitzer Park | Quelle: YouTube

Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsredakteur Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf

dasnd.de/schmidt

Podcast: Dr. Schmidt erklärt die Welt

Muckefuck wurde dir empfohlen und
du möchtest es abonnieren?

Deine Tasse Muckefuck ist leer, für heute.
Wir machen dich morgen früh wieder wach
und freuen uns über dein Feedback.
website facebook twitter instagram youtube