Muckefuck. Berlin. Links. Ungefiltert.

Freitag, 17. November 2023

Berlin im Erdo-Wahn:
Türkischer Präsident Erdoğan gastiert in der Hauptstadt

Oops, they did it again:
Letzte Generation nimmt erneut Brandenburger Tor ins Visier

Keinen Bock auf Anzeige:
CDU-Bildungssenatorin erteilt Kita-Streikaktion Absage
Patrick Volknant
Guten Morgen,

und »merhaba«! Recep Tayyip Erdoğan, seines Zeichens türkischer Präsident und Autokrat, beehrt die deutsche Hauptstadt mit seiner Anwesenheit. Die Freude darüber hält sich bei einigen in Grenzen, nicht nur mit Blick auf das drohende Verkehrschaos. In der toxischen On-Off-Beziehung zwischen Erdoğan und EU herrscht wieder eisige Stimmung. Man hätte sich womöglich schon getrennt, wäre da nicht das gemeinsame Kind: das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen.

Auf den Ausnahmezustand konnten die Berliner*innen bereits am Donnerstag trainieren. Durch den Warnstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, die es wagt, auf einer Vier-Tage-Woche für Beschäftigte im Schichtdienst zu beharren, ging es auf den Gleisen der Hauptstadt nur schleppend voran. Auf einzelnen Strecken organisierte die Deutsche Bahn ersatzweise Busse, doch gerade der Regionalverkehr (und zwar auch der bei der Ostdeutschen Eisenbahn GmbH Odeg) kam bis in die Abendstunden beinahe komplett zum Erliegen. Aber hey: Radfahren ist gesund – sofern man Berlins tendenziell rücksichtslose Rechtsabbieger*innen überlebt.

Was die vielzitierte »kleinste Gewerkschaft der Deutschen Bahn« hat auslösen können ist aber wohl nichts gegen das, was am heutigen Freitag in Mitte bevorsteht. Wie schon beim vergangenen Besuch Erdoğans 2018 herrscht im Regierungsviertel voraussichtlich die als »sehr hoch« klassifizierte Sicherheitsstufe 1, erneut könnten mehr als 4000 Polizist*innen im Einsatz sein. Ob sich der Gast wie damals mit dem Luxushotel Adlon statt seinem gigantischen Präsidentenpalast in Ankara wird begnügen müssen, ist vor Redaktionsschluss des »Muckefucks« noch nicht bekannt.

Umso klarer ist dafür, was Kurd*innen in Berlin von dem Besuch Erdoğans halten. Voraussichtlich Tausende von ihnen werden, zusammen mit Unterstützer*innen, am Samstagmittag gegen die Politik des türkischen Präsidenten und für die Entkriminalisierung der auch in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei PKK demonstrieren. In einer Mitteilung kritisieren die Veranstalter*innen der Demonstration Erdoğans jüngste Aussagen zur radikal-islamischen Terrororganisation Hamas, die er als »Befreier« lobpries. Ah ja.

»Diese Aussagen sind nicht nur deswegen fatal, weil sie radikalen Islamisten den Rücken stärken«, heißt es in einer Mitteilung der Organisator*innen am Donnerstag. Auch der Einfluss Erdoğans auf die türkisch-islamische Community in Deutschland, von der sich ein großer Teil in Berlin befindet, sei »brandgefährlich«. Die Bundesrepublik wiederum lasse sich angesichts des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei unter Druck setzen: »zu Lasten der Grund- und Menschenrechte der Kurd*innen«. Die Gegendemo soll um 11 Uhr am Kreuzberger Oranienplatz starten.

Ganz ähnlich sieht das auch Ferat Koçak, fluchtpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Wir dürfen nicht zulassen, dass Erdoğan seine Einflussnahme in Deutschland sowohl auf die Bundesregierung durch die Instrumentalisierung von Geflüchteten als auch auf die türkische und muslimische Community ausbaut«, teilte er am Donnerstag mit. Dass für Erdoğan der »Rote Teppich ausgerollt« werde, sei für ihn als Enkelkind einer kurdisch-alevitischen Gastarbeiterfamilie aus der Türkei schwer zu ertragen.

Bild des Tages

Staatsmacht trifft auf putzigen Jutebeutel: Letzte Generation wird rückfällig am Brandenburger Tor

Foto: dpa/Annette Riedl

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Erträglicher ist da schon das bisschen orangene Farbe auf Berliner Denkmälern. Trotzdem dürften am Donnerstag nicht wenige bei folgender Meldung vom Glauben abgefallen sein: Die Letzte Generation hat das Brandenburger Tor beschmuddelt. Ja, richtig. Schon wieder! Doch der erste Gedanke, dass die Klimaaktivist*innen dafür das Gerüst auf der Ostseite des Wahrzeichens genutzt haben, das zur Reinigung nach der ersten Aktion aufgestellt wurde, trügt.

Stattdessen schlichen sich Aktivist*innen von der Westseite an das Brandenburger Tor an, um es dann – auf verstörend zivilisierte Art und Weise – mit einem Pinsel in aller Seelenruhe anzustreichen. Von der Aktion blieben zwei nicht allzu große Flecken zurück, die Polizei nahm zwei Personen fest. Mit den Reinigungsarbeiten wurde anschließend sofort begonnen und zumindest scheint es so, als ob die Farbe dieses Mal weniger Schwierigkeiten bereiten sollte. Ein Wasserstrahler konnte wohl das Gröbste auf Anhieb entfernen.

Mindestens genauso hartnäckig wie die Letzte Generation sind die Sozialarbeiter*innen, Pädagog*innen und Erzieher*innen, die unter dem Personalmangel in Berliner Kindertagesstätten leiden. Rund 3000 von ihnen haben am Donnerstagmorgen vor dem Abgeordnetenhaus in Mitte zusammengefunden, um eine kollektive Gefährdungsanzeige mit über 3000 Unterschriften zu übergeben. Diese zweifelhafte Ehre sollte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) zuteil werden.

Es waren vor allem Beschäftigte aus Kita-Eigenbetrieben, die an der Aktion teilnahmen und zugleich streikten. »Der Akku ist leer!«, erklärte vorab die Gewerkschaft Verdi, die zu dem laufenden Streik für einen neuen Haustarifvertrag aufgerufen hatte. Alles war also im Prinzip angerichtet, nur eine fehlte: Die Bildungssenatorin selbst blieb der für sie eher unangenehmen Veranstaltung fern. Wie die CDU-Politikerin ihre recht kurzfristige Absage begründete und wie die Streikenden darauf reagierten, lest ihr hier.

Wünscht euch für den Start ins Wochenende einen vollgeladenen Akku:
Patrick
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Und später:

Foto: dpa/Jens Kalaene

Sonntag, 19. November, Kino International, Karl-Marx-Allee 33, 10178 Berlin, Tickets für 6 Euro

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Eines der schönsten Kinos Berlins wird 60 Jahre alt: Das Kino International an der Karl-Marx-Allee feiert Geburtstag. Aus diesem Anlass zeigt das altehrwürde Lichtspielhaus der DDR während der kommenden Monate einen Spielfilmklassiker nach dem anderen. Grund genug für den »Muckefuck«, euch darauf hinzuweisen – gerade weil in ein paar Monaten düstere Zeiten drohen. Ab Anfang April 2024 wird das Kino International seine Pforten schließen, zwar nur vorübergehend, aber immerhin doch für 15 quälende Monate. Also husch, husch, nichts wie ab auf an die Karl-Marx-Allee. Als nächstes steht ein Defa-Kinotag samt Offenem Haus am Sonntag an. Auf der Speisekarte stehen »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« (um 11 Uhr), »Die Legende von Paul und Paula« (um 13:15 Uhr) sowie die »Spur der Steine« (um 15:45 Uhr). Außerdem gibt es einen Filmposter-Basar und eine kleine Ausstellung.

Video des Tages

Malen mit der Letzten Generation: Kunsttherapie am Brandenburger Tor | Quelle: X/Twitter/Letzte Generation

Andreas Krämer und Rob Wessel servieren aktuelle politische Lagen aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt.

Links, kritisch, antikolonialistisch.

dasnd.de/tellerrand

Podcast: Teller & Rand

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