Muckefuck. Berlin. Links. Ungefiltert.

Monatg, 25. März 2024

»Hundekuss 36« adé:
Kreuzberger Tierfutterladen muss aus der Wrangelstraße ausziehen

Verfahren eingestellt:
Konsequente Strafverfolgung von Union Busting bleibt aus


Tuntenhaus will bleiben:
Queerer Schutzraum in Prenzlauer Berg kämpft gegen Verdrängung
Lola Zeller
Guten Morgen,

und ein fröhliches »wuff wuff« zum Aufstehen! Die Hauptstadt ist nicht nur voll mit Menschen, sondern auch mit Hunden. Zum Jahresende 2023 waren laut Angaben des Senats über 130.000 Hunde in Berlin steuerlich gemeldet. Die Zahl stieg demnach in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Einige davon versammelten sich am Samstag in der Wrangelstraße 70 in Kreuzberg zur Verteidigung ihres liebsten Hundefutterladens, dem »Hundekuss 36«. Dieser muss ausziehen, weil der Hauseigentümer den Mietvertrag gekündigt hat.

Unzufrieden über diesen Zustand zogen etwa 30 wütende Vierpföter, ihre Halter*innen im Schlepptau an der Leine, durch Wrangelkiez und Görlitzer Park. Die rund 70 menschlichen Unterstützer*innen übersetzen das Gebell der Tiere mit »Hundekuss 36 bleibt, bleibt bleibt!« Weitere Interpretationen der vorwurfsvollen Wuff-Laute stehen auf zahlreichen Pappschildern – etwa »Verdrängern ans Bein pinkeln«, »Leinenzwang für Investoren« oder »GRRR!«

Unter den bellenden Stadtaktivist*innen ist auch Cookie. Der zehnjährige Husky-Podenco-Pointer-Mischling hat einen besonders guten Zugang zum Kreuzberger Rohfutter-Markt, denn er hat geschafft, worum ihn viele seiner vierbeinigen Gefährt*innen beneiden: Er hat Hundekuss-Inhaberin Carolin Conde um die Kralle gewickelt und lässt sie während der ganzen Demonstration nicht von der Leine.

Conde selbst bedauert den Verlust der Räume in der Wrangelstraße. Vor zwölf Jahren eingezogen und mit viel Hingabe von einer alten Kneipe zum Tierfutterladen ausgebaut lebt das Geschäft seitdem von den Stammkund*innen aus dem Kiez, die dort das speziell zusammengestellte Rohfutter erwerben, das sonst schwer zu finden ist. »Ich muss weinen, wenn ich daran denke«, sagt Conde während der »widerständigen Hunderunde« mit Tränen in den Augen zum »Muckefuck«.

Aufhören will sie aber nicht. Der Mietvertrag wurde zum 31. März gekündigt, nun hat der Eigentümer zumindest der Berliner Abgeordneten Elif Eralp (Linke) versprochen, noch zwei Monate Aufschub zu gewähren. Conde sucht derweil nach neuen Räumlichkeiten im Kiez. Im teurer und teurer werdenden Kreuzberg ist das nicht leicht.

Die Nachbarschaft ist wütend über die Verdrängungsprozesse. »Immer mehr Läden werden aus Profitinteresse – oder weil die Eigentümer es halt können – verdrängt. Wir nehmen das nicht hin, wir wollen hier weiter leben können«, sagt Philipp Vergin von der Kreuzberger Initiative Bizim Kiez auf der Kundgebung. Kleine Gewerbe, »die die Lebensqualität hier ausmachen«, müssten vor Mietsteigerungen und Kündigungen geschützt werden, sagt er zum »Muckefuck«. Was weitere Anwohner*innen und die Linke-Politikerin Elif Eralp dazu zu bellen haben, lest ihr hier.

Bild des Tages

Hunde und Menschen aus der Nachbarschaft kämpfen um den Erhalt des Futterladens »Hundekuss 36« in Kreuzberg und unterstützen Inhaberin Carolin Conde (2. von links) | Foto: nd/Lola Zeller

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Viel Gebell, aber wenig Biss herrscht bisweilen in der Debatte um konsequente Strafverfolgung bei Union Busting, also der Verhinderung der Interessenvertretung von Arbeiter*innen durch ihre Bosse. So zum Beispiel will die schwarz-rote Berliner Regierung laut Koalitionsvertrag eine spezialisierte Abteilung in der Staatsanwaltschaft aufbauen, um Verstöße gegen Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes, welcher die Behinderung von Betriebsratsarbeit verbietet, zu ahnden.

Kollege Christian Lelek hat bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt und festgestellt, dass es keine besonderen Schulungen oder ähnliches für Staatsanwält*innen gegeben habe. Dafür sei auch die Menge an entsprechenden Verfahren zu gering – nur drei Verfahren gab es in 2023.

Hier beißt sich aber die Katze in den Schwanz. Denn laut Linke-Abgeordnetem Damiano Valgolio würde so häufig auf entsprechende Anzeigen von Betriebsmitgliedern eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft erfolgen, dass viele schon gar keine Anzeige mehr stellten. Eine Ursache für die vielen Einstellungen wiederum könnten durchaus die mangelnden Schulungen sein, weil »eigentlich nur ein*e Arbeitsrechtler*in die Umstände und Auswirkungen beurteilen« könne, sagt Valgolio. Ganz viele weitere Infos und Einschätzungen zu dem Thema erhaltet ihr hier.

Übrigens: Der »Muckefuck« musste nach einer kurzen Einführung durch unseren Arbeitskampf-Redakteur Lelek kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, dass sich das Gesetz, um das es geht, allein mit betriebsrätlicher Organisierung beschäftigt, nicht hingegen mit gewerkschaftlicher. Diese ist zwar ein Grundrecht, aber »strafrechtlich lässt sich gar nicht gegen derartige Verstöße vorgehen«, erklärt Lelek.

Tja, da hilft wohl nur gemeinschaftliches Bellen und Beißen und Streiken, bis der*die Chef*in an der Leine ist und sich an Recht und Gesetz hält. Oder besser noch: Chef*innen (und Hauseigentümer*innen) direkt ganz verjagen und Betriebe in die Pfoten der Belegschaft (und Häuser in die Pfoten der Bewohner*innen), bis das ganze kapitalistische System vor die Hunde gegangen ist.

Und jetzt Schluss mit den Tiermetaphern und rein in den Tag!

Lola Zeller
Auch wir Journalist*innen müssen unsere Bohnen verdienen:
Ich trage zur Kaffeekasse bei!

Was heute noch wichtig ist:

Tuntenhaus in Berlin: Queerer Schutzraum kämpft gegen Verdrängung

Nachdem das Haus in der Kastanienallee verkauft wurde, befürchten die Bewohner*innen des Tuntenhauses, verdrängt zu werden. Sie hoffen, dass Bezirk und Senat durch das Vorkaufsrecht den Erhalt des Hauprojekts sichern.

Jule Meier

Zwangsarbeit: Migranten in Berlin als Köche ausgebeutet

Mindestens 20 Migrant*innen sollen in Restaurants Opfer von Zwangsarbeit gewesen sein. Die überwiegend aus Indien stammenden Migrant*innen wohnten zum Teil in den Kellern der Lokale.

Christian Lelek

210 Menschen zogen in Potsdam in den Frieden

Wo Karl Liebknecht im November 1914 den Auftrag erhielt, gegen die Kriegs­kredite zu stimmen, wurde am Samstag für den Frieden demonstriert.

Andreas Fritsche

Aufgemuckt

»Das, was hier über Jahrzehnte gewachsen ist – kleine Läden, Kollektivbetriebe, migrantische Community –, hat den Kiez erst lebenswert gemacht. Die werden gerade alle verdrängt.«

Philipp Vergin
Bizim Kiez
Wir haben schon mal einen Staat ruiniert

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Nam Duy Nguyen in Leipzig: Durch Tausende Haustüren ins Parlament

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Hendrik Lasch

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Oberlandstraße 26-35
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Offenes Treffen der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg vom Bündnis Gemeinsam gegen die Tierindustrie: Kennenlernen, Infos, Austausch, Aktionsplanung – seid dabei, wenn ihr euch vorstellen könnt, euch im Bündnis gegen die Tierindustrie zu engagieren! Wir wollen eine andere Landwirtschaft und eine Ernährungswende für Klima, Tiere und Gerechtigkeit. Dafür machen wir Öffentlichkeitsarbeit, organisieren Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams. Gemeinsam können wir mehr erreichen – wir freuen uns auf euch!

Video des Tages

Eine kurze Einführung des Gewerkschaftsbundes DGB zum Thema: »Stop Union Busting! Was ist Union Busting?« | Quelle: YouTube/DGB Rechtsschutz

Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsredakteur Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf

dasnd.de/schmidt

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